Professor Samuel Reyher

Während der Ereignisse im Sommer 1676 hält Professor Samuel Reyher (41) gerade eine Vorlesung über Sonnenfinsternisse. Gerade ereignet sich eine: am 1. Juni (eigtl. 11. Juni, aber Kiel datiert zu dieser Zeit noch nach dem alten Kalender). Ob er Verbindungen sucht zu dem spektakulären Hexenprozess, der die Kieler derzeit beschäftigt? Der Astrologie ist Professor Reyher abhold – nur in Privatkollegien verrät er seine geheimen Annahmen über die wahren Kräfte von Saturn und Mond. Der beliebte und offenbar warmherzige Kieler Professor ist kein Purist. Seine Person dient zur Erhellung dessen, womit sich die Wissenschaft zu dieser Zeit beschäftigt. Was sie für wahr hält.


Samuel Reyher, Professor. Gemälde. © Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek.

Reyher gehört zur ersten Generation der aufstrebenden jungen Akademie. Für Kiel und das gesamte Herzogtum ist Samuel Reyher einer der wichtigsten Gelehrten überhaupt. Sein Ruf reicht über die Landesgrenzen hinaus. Mit Leibnitz steht er in Verbindung. Ihm zu Gedenken baut man später den Reyher-Brunnen. Die ersten acht Jahre ist er Professor der Mathematik, datiert mittels Rechenstäben zum Beispiel das Ende der Welt (er rechnet damit 1739 – eine Ableitung aus 1. Mose 6,3), nie aber ist sein Interesse auf Zahlen beschränkt. 1676 ist Reyher bereits seit drei Jahren aufgestiegen zum außerordentlichen Professor der Rechte. Als solcher steigt sein Jahresgehalt beträchtlich. Auch verdient er an Rechtsgutachten – ob auch zum vorliegenden Inquisitionsprozess gegen Trinke Preetzen und Hinrich Busch, ist unbekannt.

Faszinierend sind die unerschöpflichen Interessen dieses wissensdurstigen Mannes, dessen eine Hand auf der Bibel und die andere auf modernen Erfindungen liegt. Er will wissen, wie es zugehen mochte, dass Posaunen die Mauern von Jericho einstürzen ließen; er will wissen, was genau der Turmbau zu Babel unter den Sprachen angerichtet hat. Dass Reyher außerdem zu Goldmacherei neigt und mit mystischen Zahlenspekulationen jongliert, ist zu dieser Zeit kein Widerspruch, auch wenn er Widerspruch einstecken muss, und die Goldmacherei besser nicht an die große Glocke hängt.

Auch in Fragen der Hexenprozesse wagt Reyher gewissermaßen einen Spagat. Den umstrittenen Beweis der Wasserprobe (schwimmt der Verdächtige oben, ist er schuldig; sinkt er, ist er unschuldig) verteidigt Reyher mit Hinweis auf Hydrostatik: Der wachsende Salzgehalt in tieferem Wasser ließe Hexen aufsteigen, die (laut Mene Tekel in Daniel 5 V 27) nur wenige Lot leicht seien. Häufig geht Reyher mit seinen Studenten an die Kieler Bucht, um den Salzgehalt zu messen.

Reyher ist kein Freund einer allzu trockenen kurzsichtigen Wissenschaft. Seine Sternbeobachtungen erstrecken sich von 1676 bis 1713. Lichtbrechung, Uhrwerke, Akustik, Olfaktorik, Geschmack, all dies untersucht der Professor. Zu seinen Fachgebieten gehören auch die Geodäsie, Mechanik, Pyrotechnik, Pneumatik, Hydraulik, militärische Baukunst und Taktik.

Reyhers Wissensdurst scheint so unstillbar wie sein Drang, sein Wissen zu vermitteln. Eine Camera Obscura richtet er im Bodenraum im Kollegienhaus der Universität ein, eine Dunkelkammer mit austauschbaren Linsen: So wird die Außenwelt auf eine Innenwand der Kammer projiziert. Bis zum Fotoapparat fehlt nur noch die Fixierung des Bildes. Diese Apparatur macht der experimentierfreudige Professor auch Nicht-Studenten zugänglich. Ob dazu auch Anje Preetzen gehört, ist selbstredend unwahrscheinlich.

Sozial scheint Reyher ungewöhnlich umgänglich zu sein. Anders ist es kaum zu erklären, dass er ein Freund Professor Majors ist – einer der ganz wenigen Freunde dieses aufbrausenden Kollegen, der sich mit Leidenschaft so viele Feinde macht.