Hauptpastor Dr. Friedrich Jessen

Dr. Friedrich Jessen ist im Juni 1676 der ranghöchste Geistliche in Kiel. Er ist Hauptpastor. Dennoch tritt er in den Akten nicht in Erscheinung. Mag sein, dass es daran liegt, dass er zu dieser Zeit nicht mehr bei bester Gesundheit ist. Der 63-jährige Mann stirbt am 7.11.1677 – das Todesdatum „1676“ auf dem Epitaph, das heute in der Nikolaikirche hängt, ist vermutlich irrig.


Friedrich Jessen, Hauptpastor. Epitaph in der Kirche
St. Nikolai Kiel. Foto: Koll 2013.

Jessen hat Vertreter vor Ort. Im geistlichen Rang folgen (der leider gesundheitlich nicht minder angeschlagene) Archidiacon Mag. Matthias Burchard, dessen Schwiegersohn Diacon Mag. Gabriel Wedderkopp und Klosterpastor Mag. Martin Bützer.

Auch ohne Akteneintrag ist Dr. Jessen eine Persönlichkeit, dessen Meinung in einem Hexendelikt in Kiel nicht ignoriert werden kann – die Justiz berührt hier ja unmittelbar theologische Fragen, geht es doch wesentlich um den Abfall von Gott. Wie mag sich Jessen geäußert haben? Mahnend zu Milde oder zu Strenge? Für beides gibt es Indizien.

Einen Hinweis liefert ein Kieler Vorfall aus dem Jahr 1666, in dem Jessen um ein Gutachten gebeten worden war. Es drehte sich um Marie Beegmanß, die Tochter der Apfelhändlerin Abell Beegmanß. Marie tobte und verdrehte die Augen, und die Mutter war gewiss, der Satan habe Besitz von dem Mädchen ergriffen. Sie beschuldigte ihre Umgebung der Hexerei. Jessen konnte damals nichts dergleichen feststellen. So wies man die Panikmache der Mutter streng zurück. Jessen erwies sich als Mann der Vernunft.

Der Geistliche Jessen wird in reifen Jahren ein Mann der Wissenschaft. Beides schließt einander nicht aus, im Gegenteil. Als 1665 in Kiel die Universität gegründet wird, hält er nicht nur eine ausführliche Predigt („Lob-, Dank- und Denkpredigt“), sondern schreibt sich auch als Student ein – da ist er bereits 52 Jahre alt. Acht Jahre später erwirbt er die Doktorwürde.
Doch Jessen ist zugleich ein streitbarer, orthodoxer Protestant, der gegen Abweichler, namentlich gegen die reformgläubige Sekte der David-Joriten wettert und die Streitschrift „Auffgedeckte Larve Davidis Georgii“ (1670) publiziert. In Jessen sehen wir einen Mann, der Wissenschaft als Gottesdienst betreibt. Das eine steht im Dienst des anderen.

Auch privat fädelt Jessen Verbindungen von Geistlichkeit und Wissenschaft ein. Seine älteste Tochter, Dorothe Christin, gibt er dem Kieler Medizinprofessor Professor Caeso Gramm zur Ehefrau. 1676 ist sie bereits seit drei Jahren Witwe.

1676 ist Jessen bereits 25 Jahre in Amt und Würden: eine Persönlichkeit im Ort. Der 1613 in Husum geborene Jessen ist zum zweiten Mal verheiratet. Seine erste Frau, Tochter des streng orthodoxen Eiderstedter Propstes Johannes Moldenit, gebar (ihm) zwei Söhne (früh verstorben) und drei Töchter. Sie selbst starb früh. 1655 heiratete Witwer Jessen die Witwe des Propstes zu Itzehoe.

Zitate der Predigt Friedrich Jessens zur Einweihung der Universität 1665:
„Der Teufel ist den hohen Schulen feind, als der wohl weiß, wie sehr nachtheilig sie seinem Reich seien.“
„Die ihr Gewissen nicht in acht nehmen, verlieren allgemähchlich den rechten wahren Verstand.“
„Wie die Weine, so in die von Eibenbaum gemachte Gefäße getan werden, sollen tödliche Art an sich haben: Also die Gelehrtheit, die in einem gottlosen Menschen sitzt, wird schädlich.“
„So aber jemand anders lehret und widerspricht, so soll man wissen sie zu strafen und ihnen das Maul zu stopfen.“
„Es fehlet unser Stadt ja schier nichts, was zur Glückseligkeit einer Stadt gehören mag. Gott hat uns gesegnet mit Segen vom Himmel herab, mit Segen von der Tiefe, die darunter lieget, mit Segen an Brüsten und Bäuchen.“
„Die Studenten und ihr Leben betreffend, da müssen wir ja leider bekennen: dass es unter denselben nicht schnurrecht zugehe. … [Doch] die meisten sind fürnehme oder sonsten frommer Leute wolgeartete Kinder.“