Historisches

Der Malefizprozess – eine Chronik

Europa und Kiel


Wie ein häx zu Schwyz verbrant (1571).
Aus der Sammlung von Johann Jakob Wick (Wickiana).
© Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv.
)

Für den Zeitraum 1530 – 1700 rechnen Historiker in Europa mit etwa 60.000 (neuere Schätzungen) bis weit über 100.000 (ältere Schätzungen) Hinrichtungen von „Hexen“. Für das Gebiet des Deutschen Reiches schwanken die Zahlen ebenfalls. Manche gehen von 20.000 Opfern aus, manche von 100.000. Tendenziell gilt: Die Angaben über das Ausmaß mussten in den letzten Jahren nach unten korrigiert werden.
Genauer lässt sich die Zahl für Kiel bestimmen. Für einen Zeitraum von 130 Jahren verzeichnen die Akten 34 Hinrichtungen. Kiel zählt damit nicht als Hochburg der Hexenverfolgung. Zum Vergleich: Das Gebiet Schleswig-Holstein verzeichnet im selben Zeitraum 846 Fälle, davon wohl 600 Hinrichtungen.
Im Jahr 1676 finden sich im deutschsprachigen Raum diverse Hexenverfolgungen. Der Erzbischof von Salzburg lässt 97 Frauen wegen Anstiftung einer Viehseuche verbrennen. Die Pfarrfrau von Heftrich wird am 22. März in Idstein enthauptet – eine von 39 verurteilten Personen im Verlauf des Prozesses. Chatrina Blanckenstein steht im sächsischen Naumburg auf dem Scheiterhaufen.

Grundlegende Informationen zum Hexenprozess sind zu leicht zugänglich, um sie hier zu wiederholen. Erinnert sei an die besondere Form des Strafverfahrens: das Inquisitionsverfahren. Im Unterschied zum Akkusationsverfahren tritt kein privater Kläger auf, sondern es wird im öffentlichen Interesse von Amts wegen ermittelt. Ankläger ist also die Obrigkeit. Im vorliegenden Kieler Fall von 1676 bedeutet das: Anje Preetzen tritt nicht als Anklägerin gegen Trinke Preetzen auf, sondern als Zeugin – wenngleich als Zeugin, die den Stein ins Rollen bringt.

Die Vorgeschichte des Kieler Prozesses

Der Prozess 1676 in Kiel hat eine spezielle Vorgeschichte. Sie führt acht Jahre zurück, zu einer Verwandten der 1676 verdächtigen Personen. Diese Verwandte ist Teke Busch, angeklagt der Hexerei. Sie wird am 13. März 1668 wegen „bezüchtigter undt zugestandener Zeuberey“ verbrannt.

In den nächsten acht Jahren sind in Kiel keine weiteren Hexenverbrennungen verzeichnet. Im Jahr 1675 wird Claus Rönnefeld wegen Dieberei und Nothzucht verhört, gefoltert, zum Strang verurteilt – und begnadigt zum Tod durch Enthauptung. Sein Leichnam wird unter dem Galgen vergraben.

Doch vergessen ist der alte Fall keineswegs. Er ist dem Kieler Rat und auch der Kieler Bevölkerung 1676 noch bestens in Erinnerung. Der Leumund der Familie Busch/Preetzen scheint nachhaltig vergiftet zu sein.

Der zeitliche Verlauf

25.4.1676, Dienstag: Eine Kieler Delegation reist zum Gut Bülk an der Küste. Dessen Gutsherr Wolf v. Buchwaldt hat sie gerufen, denn ihm ist ein Gerücht über eine Kielerin zu Ohren gekommen, das der Untersuchung bedarf: Hexerei. Der Kieler Syndicus (Hennings) und ein Ratsherr (Petzolt) verhören eine auf dem Bülker Gut tätige Magd, laut Protokoll „ein Metjen nahmens Preezen“. Das Mädchen, es heißt Anje Preetzen, gibt an, seine in Kiel ansässige Stiefmutter Trinke Preetzen habe es zu „allerhant Üblem“ angewiesen, auch gehe die besagte Stiefmutter auf den „düstern Berck“. Das Mädchen gibt ferner zu Protokoll, die Stiefmutter verübe „gottlose Sachen“ und habe „zu Bülk gehuret“. Zurück in Kiel erstatten die Amtspersonen Bürgermeister von Lengerke Bericht.

26.4.1676, Mittwoch: Die in einem Keller in der Flämischen Straße wohnhafte Kielerin Trinke Preetzen wird umgehend verhaftet und zum Verhör auf das Rathaus gebracht. Trinke streitet alles ab. Sie gibt zu Protokoll, Anje Preetzen nicht zu kennen. Anjes Dienstherr wird aufgefordert, das Mädchen möge am 29. April nach Kiel kommen, um seiner Stiefmutter gegenübergestellt zu werden. Trinke Preetzen verbleibt im Gefängnis des Rathauses, der sogenannten Veste.

29.4.1676, Sonnabend: Über den Verlauf der Konfrontation gibt es keine Angaben. Dem Resultat nach darf angenommen werden, dass die Gegenüberstellung zur Erhärtung der Vorwürfe führte.

1.5.1676, Montag: Ein offizielles Verfahren wird eingeleitet, Trinke Preetzen vom Stadtgefängnis in die sogenannte Büttelei verlegt, einen stark abgeschirmten Turm mit Folterkammer. Hier landen Schwerverbrecher. Hier arbeitet der Büttel Paul Möller.
Es wird beschlossen, dass Trinke nochmals vernommen wird und Fiscalis (Staatsanwalt) und Defensor (Verteidiger) eingesetzt werden. Ob die juristische Fakultät der Kieler Christian-Albrechts-Universität mit einer strafrechtlichen Expertise zu Rate gezogen wird, ist nicht belegt aber nicht ausgeschlossen. Zwei ihrer derzeit namhaftesten Repräsentanten sind Professor Reyher und Professor Major.

Das nunmehr offiziell eröffnete Verfahren scheint für sieben Wochen etwas auf der Stelle zu treten. Trinke erleidet wiederholt Folter.

19.6.1676, Montag: Die Rechtsbeistände erstatten Bericht. Trinke sei wiederholt gefoltert worden; inzwischen sei sicher, dass sie sich mit dem Teufel eingelassen, Blasphemie begangen, die Oblate missbraucht und die Stieftochter zur Hexerei angestiftet habe. Außerdem habe Trinke ausgesagt, mit ihrem Vater Hinrich Busch auf dem Hexentanz gewesen zu sein. Busch sei ihr Lehrmeister gewesen. Das nimmt sie zunächst zurück, nach nochmaliger Tortur aber bleibt sie bei der Aussage. Darauf wird beschlossen, Busch zu verhaften. Er ist bei der Stadt angestellt als Viehhüter.

20.6.1676, Dienstag: Gemäß Dekret wird Hinrich Busch verhaftet und gefoltert. An seinem Körper wird eine von Trinke bezeichnete weiße Hautstelle gefunden, die auf Nadelstiche nicht reagiert (kein Schmerz, kein Blut) und damit als Stigma/Hexenmal identifiziert wird. Man beschließt, die Befragung fortzusetzen. Auch für Hinrich und Trinke wird eine Gegenüberstellung angeordnet, auch für Hinrich Busch werden Fiskal und Defensor eingesetzt. Ferner solle „wegen der Tortur ergehen und geschehen lassen was recht ist“.

27.6.1676, Dienstag: Die Rechtsbeistände referieren, Hinrich Busch habe nach der Folter ein Bekenntnis abgelegt. Seine Schuld an der Hexerei sei sicher. Er sei allerdings weiter genau anhand der Aktstücke (die nicht überliefert sind) zu vernehmen.

30.6.1676, Freitag (noch gilt in Kiel der Julianische Kalender): Tag der Hinrichtung. Das Wetter ist laut Protokoll „übermäßig heiß“. Morgens vor der Predigt erhalten die Delinquenten das heilige Abendmahl.
Um 12 Uhr fährt ein Wagen vor, der die Verurteilten vor dem Gericht absetzt. Dort werden die Urteile verlesen, das Urteil für Trinke Preetzen und das Urteil für Hinrich Busch. Nach lautendem Recht müssen die Delinquenten das Urteil bestätigen.
Daraufhin werden sie auf die Richtstätte gebracht. Der Transport bereitet offenbar Probleme. Es gibt Engpässe bei der Beförderung, denn es ist für die Geistlichkeit, die die Delinquenten begleiten soll, kein Wagen verfügbar. Als Geistliche abgestellt sind nicht der ranghöchste Geistliche Hauptpastor Friedrich Jessen, sondern Diacon Gabriel Wedderkopp und der Prediger der Heilig-Geist-Kirche Martin Bützer, der wiederum den erkrankten und „unpässlich“ gemeldeten Archidiacon Matthias Burchard vertritt. Im Vorfeld der Exekution bitten Wedderkopp und Bützer den Rat dringlich um einen Wagen, der ihnen nach einigem Hin und Her gewährt wird.

Die Delinquenten werden auf der Richtstätte hingerichtet und verbrannt. Die Ausführung dürfte, obwohl namentlich nicht erwähnt, der amtierende Scharfrichter Paul Möller übernommen haben. Über die weitere Behandlung des Mädchens Anje Preetzen schweigen die Akten.

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