Anje Preetzen

Anje – oder auch Anja, die Akten schreiben uneinheitlich – ist 13 Jahre alt. Nach zeitgenössischen Maßstäben ist sie mithin heiratsfähig.

Anje arbeitet 1676 als Dienstmagd auf dem Gut Bülk, einem großen landwirtschaftlichen Gut, das zum Amt Kiel gehört. Seit wann Anje dort arbeitet, ist ungewiss. Ihre Eltern sind unbekannt. Auch weiß man nicht, ob (oder: wie gut) Anje selbst ihre Eltern kennt. Als Stiefmutter wird Trinke Preetzen angegeben, die selbst nicht auf dem Gut wohnt, sondern in Kiel. Das Gut Bülk – gelegen am Eingang der Kieler Förde – und Kiel liegen einige Fußstunden voneinander entfernt (laut Google-Routenplaner: 17,4 Kilometer / 3:33 h).

Anjes grundsätzliches Verhältnis zu ihrer Stiefmutter ist unbekannt, ebenso die wirklichen Gründe, die Anje zu ihren Vorwürfen bewegen. Wahrscheinlich ist, dass Trinke ihre Stieftochter des öfteren auf Gut Bülk besucht hat. Laut Aktenlage haben Gerüchte den Gutsbesitzer, Junker Wolf von Buchwald, veranlasst, Amtspersonen der Stadt anzufordern. Sie verhören Anje. Anje sagt aus, ihre Stiefmutter Trinke treibe „gottlose Sachen“, gehe auf den „düstern bergk“ und habe auf dem Gut „gehuret“. Laut Urteil hat Trinke Preetzen ihre Stieftochter Anje in ihrem Keller zur Hexerei verleitet. Offenbar haben beide zuvor in Kiel beisammen gewohnt.

Die wahren Gründe der Aussage Anje Preetzens sind unbekannt. Dass das Gut Bülk 1687 in Konkurs ging, könnte ein Indiz dafür sein, dass es schon 1676 wirtschaftlich Schlagseite hatte. Zwingend ist die Kausalität nicht. Ebensowenig psychologische Spekulationen.

Ein Indiz für ein gespanntes Mutter-Tochter-Verhältnis wäre die Reaktion Trinkes auf die Anwürfe. Sie gibt den Amtspersonen zu Protokoll, sie kenne das Mädchen nicht. Die Behörden glauben ihr nicht und veranlassen eine Gegenüberstellung für den 29.4.1676. Diese endet offenbar mit der Erhärtung der Vorwürfe.


Obergerichtsprotokoll der Stadt Kiel Nr. 7, 1674-1679 p. 217, not. chart. coaev. © Stadtarchiv Kiel.

Die Akten geben keine Auskunft darüber, was mit Anje Preetzen nach Einleitung des offiziellen Gerichtsverfahrens geschah. Nur aus der Landes-Chronik des Adam Olearius (Kurtzer Begriff einer Holsteinischen Chronic … Anno 1448 biß 1663. Schleswig 1663. + Continuierte Fortsetzung Adami Olearii Holsteinischen Chronica Von Anno 1662 biß 1702. Frankfurt 1703) wissen wir, dass das Mädchen, obgleich der Hexerei verdächtig, „ihrer Jugend halber von der Execution verschonet“ wurde.
Was geschah mit Anje? Die Forschung ist beim Spekulieren auf Vergleichsfälle angewiesen. So ein Fall ereignete sich 1666 in Bad Segeberg. Zu dem Kieler Fall von 1676 wirkt der Segeberger Fall von 1666 wie eine direkte Vorlage: auch hier ging es um eine übel beleumundete Familie, Hexerei, Oblatenmissbrauch einer Frau, Sodomie eines Viehhirten, Tänze auf dem Blocksberg. Auch hier war ein minderjähriges Mädchen Klägerin (und Beklagte): die 14jährige Gretje Grundt, die der leichten Mittäterschaft bezichtigt wurde. Über diesen Fall existiert ein ausführliches Rechtsgutachten (Consilium XXVI, 1668), erstellt von dem Kieler Rechtsprofessor Erich Moritz (Mauritius). Solche Rechtsgutachten galten dem Gericht inoffiziell als verbindlich.
Moritz empfahl für beide Elternteile Strangulierung mit anschließender Verbrennung. Ferner: „Das Mägdlein“ möge mit seiner Mutter, „als ob es gleicher Gestalt vom Leben zum Tode gebracht werden sollte“, auf die Richtstatt geführt werden. Sie sei „hernach, wann sie ihre Mutter hinrichten und den Cörper verbrennen gesehen, wieder zurück zu führen, im Gefängnis mit Ruthen zimblich zu züchtigen“ und danach „nicht allein oder müßig zu lassen, sondern zu starker arbeit anzuhalten, von Geistlichen fleissig auf Gottes Wort zu unterhalten“ und in die Obhut eines Geistlichen gegeben werden.

Verhör von Antje Preetzen am 25.4.1676

(Quelle: Stadtarchiv Kiel, Protokoll der Stadt Kiel Nr. 7, 1674-1679 p. 217-218, not. chart. coaev.)

[Randnotiz] Abh(örer) Stegelmann / Lange nr. 1 p 223. /
Hexensache
Actum Kihl den 25. April 1676
In [xxx] des Consuls Lengerken
Referiert Syndicus wasgestalt er nebst Hrn. Petzolt als inq[irierender] G[eri]chts Actuarius auf Bülk gewesen, alwo der Jungker Hr. Wolf v. Buchwaldt in G[erichts]herr gemeßer Persohn ein Metjen nahmens Preezen von 13 Jahren abhören laßen welche deponiret, daß Ihre Stiefmutter Trinke Preezen welche alhie unter H(rn) Walter Dettl[ev] v. Ahlefeldt Haus in der Flemischen Straße im Keller wohnet zu allerhant Übles angewiesen, auch gehe [sie] auf den düstern Berck. [Das Mädchen] remittiret [, jene tue das,] umb all- ein + andere gottlose Sachen zu verüben, inngl[eichen] davon daß [jene] zu Bülk gehuret. Protokoll verlesen, wo dar[a]uf concludiret wirt, daß man sich dieser Person versichern + vors erst auf die Veste bringen, + die Hrn. Judices Sie hierüber vernehmen sollten.

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