Folter

Trinke Preetzen wurde mehrfach gefoltert, nachdem sie am 1.5.1676 in die Büttelei verlegt wurde. Das belegen die Einträge in den Kieler Obergerichtsprotokollen. Trotz wiederholter Folter scheinen die Verhöre nicht die gewünschten Ergebnisse erzielt zu haben. Das lag offenbar in der Weigerung der Inhaftierten begründet, unter Folter abgepresste Geständnisse zu bestätigen, wenn die Folterwerkzeuge abgenommen waren. Sie widerrief. Die Geständnisse wurden damit für das Gericht wertlos. Erst sieben Wochen später, am 19.6.1676, war Trinke Preetzen offenbar mürbe und gestand, wie die Protokolle berichten, „ohne Zwang“. Sie beendete damit den Kreislauf zu gestehen, danach zu widerrufen und damit einer erneuten Folter entgegen zu sehen. Sie gab ihren Vater Hinrich Busch als Hexenmeister an. Auch er wurde gefoltert und gestand.Auszug aus dem Obergerichtsprotokoll (Quelle: Stadtarchiv Kiel, Protokoll der Stadt Kiel Nr. 7, 1674-1679 p. 227, not. chart. coaev.)
Actum Kihl den 19. Juni 1676
Referirten D[omini] Judices wie weit sie mit der Inhaftierten Trinke Preezen gekomen, + daß repititio torturi geschehen, da dann ex actis so viel erhellet, weilen sie Preetz cuia diabolis [sich mit dem Teufel eingelassen] Gott verläugnet, mit dem Satan verschiedene congressus gehalten, große blasphemie begangen, Ihre Stieftochter die Hexerey gelehret, auch die Oblaten mißbrauchet: daß sie also juxta Actis 109 Lants[-]Constit[ution] wie [= als] eine Zaüberin mit dem Fewer vom Leben zum Tode zu verdammen, und weilen auch ex actis erhellet, daß Captiva Strafe schuldig gestanden von selbsten aus ihr Vatter Hinrich Busch [,] bekannt daß er mit auf dem Hexentanz gewesen *, Er Ihr auch das Hexen geleeret, welches [Randnotiz: * ein weißes Stigma am Leibe] Sie danach nachgehends wieder geläugnet, dazu in bösen Feen (?) auch ex familia dergleichen bösen Leute sein. Als[o] ist meretiret daß diese iudicia ad capturam efficirent, wor[auf] Domini Judices die Gefangene über ihre Deposition nochmals vernommen, + sie bestendig bey ihrer Aussagen bleiben würde. Alsd[ann] daß Busch zu gefänglicher Haft zu bringen. [Seitenende]


Büttelei 1855. Grundriss. Aus: Walter Wendrich: Die alte Kieler Stadtmauer.
Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte Nr. 47, Kiel 1955.

Unklar ist, auf welche Weise Trinke Preetzen gefoltert wurde. Wir kennen den Ort – die im Erdgeschoss der Büttelei befindliche Marterkammer – und den Frohn (landläufig Folterknecht): Paul Möller. ‎Mit hoher Sicherheit kann man berüchtigte Instrumente wie den „Spanischen Mantel“ (enger Schrank mit einwärts ragenden Stacheln) für Kiel ausschließen. Daumenschrauben, Beinschrauben sowie eine Leiter zum Aufziehen hingegen dürfte es gegeben haben. Auch eine Feuerstelle gab es in der Folterkammer.

Entgegen einem verbreiteten Irrtum stellt Folterpraxis in der Frühen Neuzeit de iure keine unkontrollierte Gewaltanwendung seitens sadistischer Inquisitoren dar. Sie steht im Dienst der Beibringung von Geständnissen, die essentiell für den Urteilsspruch sind. Zudem folgt sie Regeln des Gerichtsverfahrens (Peinliche Halsgerichtsordnung Karls V., 1532). Festgelegt sind zum Beispiel Häufigkeit, Dauer und Grad der Folter. Diese kaiserlichen Gesetze finden auch in Kiel Anwendung. Rechtsgutachten der Universität nehmen immer wieder unter die Lupe, ob die Prozessordnung eingehalten wurde.

Für Hinweise auf die physischen und psychischen Folgen von Folter dankt der Film namentlich dem Rechtsmediziner Professor Dr. med. Rüdiger Lessig, Direktor des Universitätsklinikums Halle (Saale).

Da die erhaltenen Akten des Hexenfalls von 1676 nur wenige Anhaltspunkte über die konkrete Folter- und Verhörpraxis geben, zieht der Film einen regional und zeitlich benachbarten Fall zu Rate. Er ereignet sich 1685 im Kieler Zuständigkeitsbereich. Den Vorsitz führt der Kieler Bürgermeister Johannes Fuchs, der auch im Fall Preetzen mit von der Partie war – damals noch als Kieler Ratsherr.
Der Fall von 1685 ist weniger aufsehenerregend als der spektakuläre Hexenfall; es handelt sich lediglich um mehrfachen Diebstahl eines gewissen Jochim Silbergrape. Die Liste seiner Beute (u.a. Kleider, Leinen, Laken, Hemden, Halstüchter, 3 Gänseflicken, 4 Pfund Butter, ein halbes Brod und sieben Pfund Wolle …) liest sich nicht sensationell, doch auch eine Lade des Kirchenvogtes ist im Spiel, eine beträchtliche Geldsumme fehlt, und Kirchendiebstahl fällt unter Kapitalverbrechen. Silbergrape wurde zudem auf frischer Tat (bzw. auf der Flucht mit Diebesgut) ertappt. Man kennt ihn, er ist vorbestraft. Er ist offenbar teilgeständig, schweigt aber hartnäckig zu einigen Fragen, unter anderem bezüglich des Schlüssels zur Lade. Auch nach mehrmaligem Verhör bestreitet er die Vorwürfe. Das Gericht setzt Fiskal (Staatsanwalt) und Defensor (Verteidiger) ein. Zum Gegenstand ihrer Diskussion werden u.a. einige seltsame Fundstücke in den Habseligkeiten Silbergrapes: In einer Büchse findet man vierblättrige Kleeblätter, Wachs, Erde und Krähenaugen, die der Inquisit als Glücksbringer bezeichnet. Der Defensor mag ihnen kein Gewicht beimessen, „weil leider heutigen Tages bey den geringen und einfältigen Leuten nichts mehr als der Aberglaube im Schwange gehet“. Auch hält er Tortur für nicht angezeigt. Der Fiskal aber wendet ein, dass laut Peinlicher Halsgerichts-Ordnung, Art. 62, jemand mit „poena furti“ zu belegen sei, wer zum dritten Mal gestohlen habe. Silbergrape seien mindestens sieben Diebstähle nachweisbar. Er beantragt, dass Silbergrape „ad effectum torquendi graviret wird“. Diesem Antrag wird stattgegeben.

Da der Dieb Silbergrape nicht geständig (genug) ist, lässt das Gericht foltern, und diese Folter wird akribisch dokumentiert, um 1) den Gutachtern der juristischen Fakultät eine gute Materialbasis zu liefern und 2) sich abzusichern gegen den Vorwurf fahrlässiger Verfahrenspraxis. Der leitende Vorsitzende Johannes Fuchs wird die Protokolle später selbst herausgeben lassen („Johannis Fuchsii: Introductio in Processum Holsaticum“). Fuchs ist beim folgenden, auszugsweise zitierten „peinlichen Verhör“ als Vorsitzender persönlich anwesend. Es beginnt am 9.7.1685 um 6 Uhr morgens und wird zwei Stunden dauern:

1. Anfänglich wurden Inquisitio die Schlösser abgenommen / auß seiner Zelle in die Kammer gebracht, wo er ermahnt wurde, die Wahrheit zum Diebstahl zu bekennen und es nicht zur Marter kommen zu lassen. Er antwortete, dass er den Diestahl nicht getan habe, er sei auch nicht dabei gewesen, wüsste anderes nicht zu sagen.
2. Hierauff geschah die territio verbalis, da der Scharff-Richter ihm die Instrumente vorzeigte und wie er es mit ihm machten wolte, vorsagte, darauf aber der Inquisit nichts anders sagte, als dass er solchen Diebstahl nicht verrichtet, weniger dabei gewesen wäre.
3. Nach diesen geschahe die territio realis mit ausziehung der Kleider, worauf er sagte, er hätte schon gestanden, was er getan hätte, könnte also nichts mehr bekennen.
4. Hierauff seyn ihm die Daumschrauben auff beide Daumen gesetzt, da er sagte, er könte nichts anders sagen, er hätte den Diebstahl nicht verrichtet, er könnte nichts anders sagen, er hätte den Diebstahl nicht verrichtet. Als er bei seinem Negieren geblieben, seien ihm die Spanischen Stiefel an beide Beine angelegt worden. Sobald diese lediglich zugeschraubt waren, habe er flugs begonnen zu sagen, er habe den Diebstahl getan, worauf ihm sofort die Daumschrauben und Spanischen Stiefel abgenommen worden. Als er nun seine Aussage tun sollte, sagte er, er hätte es aus Pein gesagt, und es wäre nichts wahr. Daraufhin wurden ihm die Hände gebunden, worauf er geständig wurde. Er widerrief erneut, worauf man ihm wieder an Händen band und die Spanischen Stiefel anlegte, worauf er schrie und man ihm einen Knebel in den Mund schob. Als er winkte, nahm man ihm den Knebel ab, und er sagte, er würde bekennen, worauf man ihm Stiefel und Hand-Linie abnahm und er den Diebstahl gestand.
Als er einen bestimmten Diebstahl (verübt bei Selent) nicht bekennt, wurden ihm erneut die Spanischen Stiefel angelegt, worauf er sehr rief, er hätte nicht mehr gestohlen, als er gestanden hätte, „bat sehr / man möchte ihn loß lassen / er hätte nicht mehr gestohlen / hierauff wurde er auff die Leiter getahn / die Spanischen Stieffeln wieder angezogen / die Füße an die Leiter gebunden / die Arme über dem Kopf gelegt / und die Hände mit der Treck Linie zum Auffziehen zusammen gebunden / da er dann flugs sagte / er wäre zu Selent gevesen / revocirte aber alsobald / er hätte alda nicht gestohlen / hierauff wurde er ein wenig angezogen / dan er dann sagte / er hätte nicht mehr gestohlen / als er ein klein wenig – etwa so lang, als man das ABC hersagen kann – hing, sagte er, er hätte den Diebstahl in Selent getan, aber nicht mehr Diebstahl begangen / daher er flugs wieder los gelassen / und die Stiefel abgenommen worden.
Zwei Stunden dauerte die Tortur. Nach Einschätzung des Gerichts ist Silbergrape „nicht lang / auch nicht scharff“ gefoltert worden.

Der Inquisit wird nach dem Verhör wieder in die Zelle gebracht. Am nächsten Tag, 10.7.1685, führt man ihn in eine Stube, wo ihm in Gegenwart des Bürgermeisters Fuchs und der anderen Gerichtsherren seine Aussagen vorgelesen werden, worauf Silbergrape zu allen Punkten „freywillig und ohne einigen Zwang ja sagte“.

Das Protokoll wird zur Begutachtung an die Juristische Fakultät der Kieler Universität überstellt. Deren Rechtsgutachten sind rechtlich nicht verbindlich, in der Praxis aber maßgeblich. Das Urteil über Johannes Silbergrape ergeht am 21. August 1685: Der Angeklagte wird öffentlich gestäupt und lebenslänglich des Landes (Schleswig-Holstein „und den dazu gehörigen Ländern Dithmarschen, Eiderstedt und allen ihren Städten, Gütern, Dörfern“) verwiesen. Am 31.8.1685 wird das Urteil vollstreckt.